J. Dreyfsandt zu Schlamm : Deutsche Gedichte 5
Teil 5
11-11-2008
Mensch, wer bist du?
Kaltherzigkeit gibt es auch, wenn Farben blühen das ganze Jahr hindurch Liebe schließt keine Türen im Einklang mit dem Rhythmus der Saisons oder zergeht im Himmelsnass falls Schnee oder Hagelkorn Recht sprechen ohne Verhör es befeuchten auch nicht Tränen einen toten Teppich ausschließlich wenn der Herbst sich senkt über Alleen Kühle kennt keine Zeit stößt dem Mensch zu, wenn das Leben am Inneren reißt oder die Seele die Machtlosigkeit vertreiben will sobald unsere natürliche Einsamkeit im Übermaß gedeiht
Du, der du kommst
ich warte auf dich während du reist unterwegs nach deinem Namen
eine Weile treibst du unter einem klopfenden, eroberten Frauenherz
wo du, wie federleichtes Gewicht, nach Anerkennung in einer geborgenen Finsternis, zusammen im Singular startest
so zähle ich meine Stunden zurück in den Boden und deine Tage welche bald geboren werden
wenn du dann der Sonne begegnest, wirst du einem ewigen Wert angehören
Der Ferne nahe....
im zehnten Monat wird mein Boden unter den Füßen dunkel
es kann sein, dass der Geist
beim Fallen der Blätter eine andere Route wählt oder Absätze kleben an der Erde und Schönheit versagt in ihrem eigentlichen Wert es ist Gehen über eine Brücke ebenso schwer wie das Erklimmen des losen Dünensandes um oben auf der blanken Spitze zu sehen dass der Gesichtskreis verpackt scheint in eine dunkle Ferne
Ich liebe die Stille
wenn ich meinen Atem besinnlich verteil habe ich die Stille lieb, so lieb
doch bin an Zeit gebunden wo fortschreitende Zeiger, vergangene Erwartungen verwinden
und sehe in der Jugend dass ich immer öfter ältere Früchte anbaue in Erwartung der Nacht, welche endgültig auf mich wartet
trotzdem ruhe ich in meinem Abend und fühle mich erwärmt von dem Lächeln deines Kindes
und wenn ich meinen Atem besinnlich verteil habe ich die Stille lieb, so lieb
Zeitvertreib
was hast du noch zu tun, fragt das Heute die Zukunft
ich fühle mich alt, warte nicht mehr auf das Später flüstert sie gegen den ungeborenen Tag von Morgen
und Gestern ist sterbensmüde es möchte nicht mehr für mich sorgen
Lebe wohl Sommerernte
Wenn das Verfärben der Blätter noch vor dem Fall seinen Anfang nimmt
und das Herbstgrau die Ruhe einläutet um sich an Tod und Auferstehung zu gewöhnen
entfremdet der Mensch sich oft schnell der Sommerernte und wird den Verfall plötzlich erkennen
morgen besteht nur noch in Hoffnung, in Worten und Träumen
*
wird er, lediglich, so durch das Stillwerden gelotst?
Schattendüfte
wenn der Tag sich allmählich eher verdüstert
scheint es, als färbe sich das Licht anders in mir
und wo der Sommerpracht von Natur aus der Glanz genommen wird
rieche ich auch wieder Schattendüfte, die vom Herbst zu erben sind
21-09-2008
Blinde Sehnsucht
immerfort erwarten
ist versuchen eine losgelöste Vergangenheit, wohl oder nicht gewollt, in Schmerz wieder zu finden
und erscheint Einsamkeit aufs neue
wenn das Sterben sich dann herlebt und meine Seele sich spiegelt an der blinden Linde
wird niemals das irrende Echo vergehen welches die Sehnsucht in der Zukunft webt
Zwischen weiten Lidern
zwischen weiten Lidern sehe ich klares Blau sie sind etwas runder als normal
doch sind sie wie üblich umrändert von einer dünnen haarigen Hecke noch beschützend, aber grau
es sagt etwas von meinen Augen und dem sprechenden Klang wovon ich erzähle
pass auf, sie betreten nicht nur so einen willkürlichen Weg ohne Anspannung werden sie zugleich:
gewogen, bewundert, oder zentrifugal zu meiner Ferne gesogen
die Falten, breit gefüttert, sowohl oben wie unten die sichtgebärende Fähigkeit
sind himmlisch tief gerunzelt und irdisch ebenso, aber mit Hängesäcken besetzt
die Blickfänger stellen Spiegel im Sand und laden das Heute besonders bei tagendem Licht
manchmal, ja dann und wann werden sie getrübt von unvermeidbarem Seelengewicht
Der Geruch des Widerhalls
die Lippen pressen sich noch einmal zusammen
versuchen hinter meiner geschlossenen Tür zum Abzug zu blasen
ich möchte noch, noch eine letzte Ehre planen
aber der tiefe Ton, quälend langsam steigend, scheint schon schwarz von Farbe
in der Ferne höre ich dich auf den Widerhall lauern mit "Amen" in seinem Geruch
Meine Ungeduld
die Zeit steht still so bemerke ich nebenbei
doch mein stimmlicher Ton verrät einigen Ärger, überträgt deshalb die Unruhe einer anschwellenden inneren Unbequemlichkeit
ähnlich dem quengeligen Gedröhne einer Horde anstürmender Pferde im Galopp
meine eigene Ungeduld brennt mir, für Kennerblicke merkbar, unter den Füßen
gewiss, wenn Warten mich irritiert gleich der schleppenden Gangart einer noch lebendigen Schnecke
Tausend Zigaretten weiter
ich fühle sie noch in rechter Hand zwischen zwei braungebrannten Fingern,
versuche zu rauchen ohne Zigaretten
mein Verstand hat beschlossen mich zu befreien aus Nikotinland
mich von einer Sucht zu erretten
Der Mythos von Fatuma
Sie, Fatuma, versucht hinter ihrem Gazeschleier gleich einer fahrenden Pagode sich stützend auf ihre Flöte wie eine reizende nützliche Braut die Götter zu verführen wenn sie von ihren finsteren äußersten Sehnsüchten erzählt
um damit die himmlischen Heerscharen in eine irdische Verlockung zu bitten so daß sie, Fatuma, ihre Saat im sprechenden Staub gebären würde wo jede willkürliche Macht umgeschaltet werden kann in ihre Gebote die erschöpften Götter sie als alleinige Allmächtige erklären würden
also geschah... mit weiblicher Geduld dass nicht nur die Bärte aber auch die Mitgöttinnen mit seligen Brüsten, unbeschwert von befruchtenden Säften umhüllt wurden mit ewiger Schuld; ihre Grossartigkeit zu akzeptieren
Der schwangere Schatten
stellst du dich mit mir unter, möchtest du? hier, unter meinem Schmetterlingsbusch welcher rosa verziert ist
die Zweige hängen etwas schwer mit himmlischer Feuchtigkeit bedeckt
sie schenken uns den schwangeren Schatten wo ein leichter Duft seine Blüte feiert
und wirklich, eine aufgehende Passion erweckt wird
ich lecke den roten süßlichen Geschmack deiner Lippen
wenn dem Mund entlang das Grün einige Tropfen nach unten gleiten lässt
von diesem Saft möchten unsere Zungen rhythmisch nippen
wird es uns in flüchtige Höhen führen?
Du, der du mich Überlebst
es ist nicht anders wie das Nachfolgen eines Baumes
welcher das Färben seiner Blätter auf eigene Weise erfährt
gleich so natürlich wie mein Tod den du in einem Frühling überleben wirst
Den Sehkreis Überschreiten
laufe wieder verloren im eigenen Land rückwärts schauend oder im Kreis laufend nach vorn
oder sitze ich hinter Schloss und Riegel wo keiner mich kennt und auch ich mich selber nicht verstehe
gewöhne ich mich je an das
es scheint zielloses Fischen mit Köder ohne Angel wo ein Fremder meine Gedanken lenkt
es ist herumirren in Gewölben überfüllt oder von Leere erschöpft ich werde gezwungen Finsternis auszuheben
* hinter Gittern von Übermacht höre ich das Orakel sprechen:
"erkenn dich selber"
ach, könnte ich doch atmen unter einer bleischweren Decke *
Mein Spiegelbild (Einakter für zwei Personen)
Mein Spiegelbild
jouw spiegelbeeld
meine matten Augen starren durch das Fenster wo nichts und alles zu sehen ist hier schein ich offensichtlich im luftleeren Raum aufgestiegen
je fletse ogen staren door het raam waar achter niets en alles is te zien hier, lijk je, ogenschijnlijk, in het luchtledige opgegaan
vor mir steht Kaffee, auf einem Tisch: eine große braune quadratische Fläche in einem verkommenen Herrenlokal mit altmodischem Ornament wo alle Menschen sind aber einander nicht erkennen
voor je staat koffie, op een tafel, een groot bruin vierkant vlak in een verlopen herencafé met ouderwets ornament waar iedereen is maar elkaar niet kent
in diesem Lokal, braungeraucht sehe ich im Glanz eines Fensters: ein reflektierendes Selbstbild es ist das einzige, das ich, unabsichtlich, mit dir teil
in dit lokaal, bruin gerookt kijk jij in de glans van een ruit: een weerkaatsend eigenbeeld het is het enige dat jij, onbedoeld, met mij deelt
Cecile, Komtesse von Brugge
ich tanze mit Ihnen würdige Komtesse des Abends
es klingt die Melodie welche uns bewegen lässt
dem Rhythmus folgend eines mir in diesem Moment entsprießenden Liedes
so können unsere beiden Leiber gezeichnet von der Zeit
kurz
in einem frohen Weitergehen verweben
Der süße Wind
der süße Wind streicht mit Genuss die Wangen während einer betastenden Sehnsucht
er streichelt die Haut mit sanfter Hand und ich, winkend nach Möwen, werde gebadet getragen im warmen Sand
über mir spreizt sich in Azur die himmlische Weide, weit und sprachlos rein
in mir treiben noch gelegentlich, einzelne Wolken
bis auch sie vergessen, das irdische Denken darzustellen
es darf so sein
02-07-2008
GEHE DOCH
Gehe doch Flüstert Meine innere Stimme
Ich will den Ruf Nicht vernehmen
Du bist durch Die verstrichene Zeit Gekrochen
Dauernd eine Mischung Atmend Von Abstoßen und Hoffen
Meine Hände rühren Noch kurz an deiner Haut
Die Seele empfindet Mit Abneigung Eines abwesenden Tones
Gehe doch Schweigen meine Lippen
*
Ich habe nicht gelernt Eine Nabelschnur Durchzuschneiden