Schreiben is wie beichten... Malen wie Kommunizieren!
Door Karlheinz Pieroth uit Kirchenzeitung " Der Dom "
Man schrieb den 5. Juli 1886, als Felix Timmermans "auf die Welt geblasen wurde". Ein Tag wie jeder andere im belgischen Lier. Und doch ein Datum, das zumindest den Standesbeamten des sommerseligen Städtchens ins Schwitzen brachte, denn für den 13. Timmermans-Sproß fand sich kein Plätzchen mehr im Familienstammbuch. "Ich war eine Zugabe; und deshalb schrieb man mich einfach auf den Umschlag mit den Namen Leopoldus Maxianus Felix." Von diesem barocken Dreiklang blieb für den Hausgebrauch nur der griffige Felix, der Glückliche. Wahrhaftig, ein Glücklicher und ein Glück zugleich. Denn die "Zugabe" wird zur Gabe, zum Geschenk für das kleine Lier und die große Welt. Heute, hundert Jahre danach, ist dieses ganze Lier auf den Beinen, seinen berühmten Sohn "sappig" zu "felicitieren", d. h. flämisch, zünftig zu feiern.
Sein "schön Lier", keine 20 Kilometer vor den Hafentoren Antwerpens gelegen, "wo die drei Nethen ihren Lauf zu einem silbernen Knoten zusammenwinden", wie Timmermans seine Heimat beschreibt. Schmelzpunkt zweier Landschaften: Im Nordosten das stille "Kempenland", arm, einsam, demütig und zutiefst gläubig. "Es ist das Land der Abteien." Im Süden das reiche, lebensvolle Brabant, das Land des Malerfürsten Rubens. "Auch hier lobt man Gott, aber mit einem Stück Speck auf der Zunge." Beide Lebensströme finden ihren Platz im "geteilten Herzen" des kleinen Lier: "Die Schenke neben der Kapelle! Das Heimweh nach dem Himmel und ein Trunk auf das Leben!"
Hier blüht die Kunst des Erzählens Hier, hinter kalkweißen Treppengiebeln und handtuchschmalen Fensteraugen ist Raum und Zeit für tragikomische Geschichten und Gestalten, blüht die Kunst des Erzählens in warmen Stuben und bierseligen Kneipen. Der junge Felix hat Muße, in diese skurrile Welt hineinzuhorchen. Da ist der Vater, der als Spitzenhändler in blauem Bauernkittel und hoher Seidenmütze mit einem fünfspännigen Hundewägelchen über Land fährt und neben einer Hutschachtel voll Maikäfer einen bunten Strauß von Histörchen, Anekdoten und Episoden heimbringt. Ein Fabulierer, der draußen "eine Viertelstunde vor Lier" den Heiligen Drei Königen begegnet und vom schwarzen König den Auftrag erhält: "Grüß zu Hause den kleinen Felix!" Da ist Nachbar Kaluiken, ein armer Schuster und reicher Münchhausen zugleich. "Es war ein Fest, ihn erzählen zu hören." Wie er als Soldat mit einem Trommelwirbel den König zu Tränen rührt und Majestät mit zittriger Stimme gesteht: "Das ist so schön, als wenn Beethoven Orgel spielt." Da sind die Klöpplerinnen, die für Felix' Vater die feinsten "Kanten werken". "Früh schon lauschte ich den armen Arbeiterinnen, die die schlohweißen Spitzen ablieferten, ihrer saftigen Sprache, ihren farbigen Gesprächen und derben Geschichten."
Das ist ganz Lier, das für Timmermans zum "besten Mitarbeiter" wird. Zeitlebens singt er das Lied dieser, seiner Stadt, ohne Land und Leute an der Nethe in das enge Ansichtskartenformat einer „Heimatdichtung" zu zwängen. Er porträtiert seine kraft- und lebensvolle Welt im Kleinen. Was unter seiner Feder lebendig wird, steht stabil auf einem von Wind und Wetter blank gefegten Kopfsteinpflaster. Seine Menschen haben sich ihm von Kind an eingeprägt. Sie sind Fleisch und Blut, Glaube und Zweifel, Freude und Leid, Tragik und Komik. Der Ernst des Lebens beginnt für Felix in der Schule. Anscheinend zuviel Ernst für den Glücklichen, denn er ist "meist einer der Letzten". Später faßt Timmermans diese Lebensphase in eine knappe
Bestandsaufnahme: "Meine Kinderzeit ging vorüber mit Zeichnen, Lesen, Erzählen, und ich träumte davon, ein Kunstmaler zu werden"So macht er sich nach der Schulzeit auch zunächst als Entwerfer kunstvoller Spitzen im väterlichen Geschäft nützlich. Als er dann zum Sprung in die Kunstakademie des nahen Antwerpen ansetzen soll, scheitert dieses Vorhaben, weil er morgens zu früh aus den Federn gemußt hätte. Dafür erwacht aber eine zweite Neigung in ihm: er beginnt zu schreiben. Scheinbar schwerelos. "Ich habe einfach geschrieben, wie ein Junge flötet, der sich selber gern hört."
Zwei künstlerische Seelen: Malen und Schreiben Fortan streiten und vertragen sich die beiden künstlerischen Seelen in Felix' Brust. In seiner angeborenen Bescheidenheit, die ihn auch in den Jahren größter internationaler Erfolge nie verläßt, enthüllt er das Geheimnis seiner Poesie: "Ich habe einfach geschrieben. Wovon das Herz voll ist, läuft das Papier über. ... Ich würde es niemals fertig bringen, selbst über das höchste oder tiefste Gefühl einen Satz zu schreiben, den unsere Waschfrau nicht verstände. ... In meinem Falle richtet das Herz sich nach dem Volke." Und dieses Volk, nicht nur das flämische, empfängt jeden neuen Timmermans als ein Kapitel "flandrisches Evangelium", als einfältig fromme Botschaft, die unsere angekränkelte Welt verständlich und erträglich macht. Sein blutvoller "Pallieter" allein wäre ein Dichterleben wert. Timmermans schreibt ihn nach einer lebensgefährlichen Operation. "Pallieter", wie er seinen legendären Tagemelker tauft, verblüfft die Welt. Er wird bei seinem Erscheinen 1918 zum Idol und Symbol einer geschlagenen Generation von Überlebenden, die mit ihm und in ihm Leben, Glück, Freude, Güte, Hoffnung, Licht und Liebe wiederentdeckt und voller Bewunderung vor Gott und seiner Schöpfung steht.
Seine Werke wurden in 25 Sprachen übersetzt Timmermans hört in das Herz des Volkes hinein und setzt das Erlauschte in sein großes Gesamtwerk von Erzählungen, Novellen, Romane, Theaterstücken und Gedichten um. Seine Bühne ist das von ihm zum Mittelpunkt seiner Welt erkorene Flandern. Und es gelingt ihm, den Blick der großen Welt auf sein kleines Land zu richten. Seine Werke werden in 25 Sprachen übersetzt. Sie erreichen Auflagen von vielen Hunderttausenden. In Deutschland wird er zwischen den Kriegen der am meisten gelesene ausländische Dichter. Manches davon ist auch heute noch bei uns gegenwärtig: "Das Jesuskind in Flandern", "Das Triptychon von den Heiligen Drei Königen", "Franziskus", "Bauernpsalm", "Der Pfarrer vom blühenden Weinberg", "Minneke Pus", "Die sehr schönen Stunden der Jungfer Symforosa, dem Beginchen", "Adrian Brouwer" und "Pieter Bruegel". Als liebenswürdiger Botschafter Flanderns fährt Timmermans durch halb Europa, liest in überfüllten Sälen vor Tausenden begeisterten Menschen und wirbt für eine christliche Welt.
Doch jeder Ruhm hat seinen Preis. So auch bei Felix Timmermans. Der Dichter beklagt den Maler: "Die Farbe zum Malen wird hart in der Tube, und ich male doch auch so gern. Ich schreibe, weil ich muß, aber malen, das tu ich zu meinem Vergnügen." Und schließlich: „Schreiben ist wie beichten, malen wie kommunizieren." Trotz aller Zeitnot hat Timmermans ein großes malerisches Werk hinterlassen, in dem sein Lier und sein Flandern sichtbar werden in Menschen, Landschaften, Kalendern sowie unverwechselbaren Initialen und Illustrationen zu seinen eigenen Büchern und Werken anderer Autoren. Wenn er unter eines seiner schönsten Gemälde, das er "Der Hergott und die Kuh" betitelt, "Sonntag" schreibt, so steht dieses eine Wort für sein gesamtes bildnerisches Werk: Es ist Sonntagsmalerei in Vollendung, weil die Welt Sonntag und Sonnentage hat, wenn der Maler "die duftige Ölfarbe wie milden Wein" kosten darf.
Und so sind viele seiner Bilder wie fromme Legenden eines heiter verklärten Himmels mit wirklichen und seltsamen Heiligen. Über allem gilt für ihn "malen, das tu ich zu meinem Vergnügen". Ein Vergnügen, das sich besonders bei der letzten Jahrhundertausstellung seiner Werke in Lier (Timmermans-Opsomer-Museum bis zum 31. September 1986, täglich geöffnet von 10 bis 12 Uhr und von 13.30 bis 17.30 Uhr, außer montags und freitags) auf jeden Besucher überträgt.
In dunklen Stunden religiöse Gedichte Felix Timmermans Abschied von der Welt ist lang. Ein schweres Herzleiden überschattet die letzten Jahre seines Lebens. Sehr schwer trifft ihn die verleumderische Anklage, er sei im Krieg Kollaborateur der Deutschen gewesen. Er wartet auf Rehabilitierung. Seine Kräfte schwinden. In diesen dunklen Stunden entstehen seine religiösen Gedichte, sein "Adagio" als Brücke, Bogen und Vollendung seines Lebenskreises:
Der Kern von allen Dingen Stets in der Stille glüht; Allein die Dinge singen, Recht bald schweigt unser Lied.
Und dunkel singt mein Blut, Vom Heimweh schwer Ich treib auf Regenbogen Zu Gottes stiller Flut.
Am 24. Januar 1947 stirbt der katholische Maler-Dichter Felix Timmermans. Er hinterläßt uns den Schlüssel zum Geheimnis seines Glücks und seiner Kunst, einfach und klar wie er gelebt hat: "In allem schimmert das Göttliche. Bewundern ist danken. Ich bin froh, daß Gott mich auf die Welt geblasen hat. Und mehr habe ich nicht gewollt, als diese Freude niederschreiben."
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